KI-Innovation: Wie ein digitales Labor die Medikamentenentwicklung beschleunigt

Shownotes

„BI X ist nicht nur eine Software-Schmiede, sondern wir sind sehr crossfunktional aufgestellt“, erklärt Christian Tressel, COO von BI X. Bei BI X handelt es sich um das digitale Innovationslabor von Boehringer Ingelheim. Als eigenständige GmbH im Konzern verfolgt BI X einen besonderen Ansatz: Mit flachen Hierarchien und dezentralen Entscheidungen schafft das Team Freiräume für digitale Innovationen entlang der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette.

Ein Beispiel für den Innovationsgeist sei die Entwicklung von KI-Modellen für klinische Studien, so Tressel. Mit einer Lösung zur Virtualisierung von Kontrollgruppen konnte BI X bereits 50 Prozent der Placebo-Patienten einsparen – mit potenziellen Zeiteinsparungen von zwei bis vier Jahren bei der Medikamentenentwicklung. Bei seltenen Erkrankungen mache diese Technologie klinische Studien überhaupt erst möglich.

Auch in der frühen Pharmaforschung setzt das Team auf generative KI-Modelle. Durch spezialisierte Large-Language-Modelle können beispielsweise Zellmembran-Anker identifiziert werden, an denen Wirkstoffe andocken können. Dies erhöhe die Erfolgsquote von Wirkstoffkandidaten erheblich und optimiere die Laborprozesse, so Tressel. „Wir arbeiten hypothesenbasiert“, sagt er. „Dazu gehört natürlich auch, dass man Hypothesen nicht nur belegt, sondern auch widerlegt.“

Für die Zukunft sieht der BI-X-Chef großes Potenzial. Erfahren Sie außerdem,

  • wie die kontinuierliche Erfassung von Biomarkerdaten funktionieren könnte.
  • wie Smartwatches und Nano-Devices die Daten direkt im Körper sammeln könnten.
  • wohin der Trend bei einer frühzeitigen Krankheitserkennung lange vor dem Auftreten von Symptomen geht.

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Sprecherin: heise meets … – Der Entscheider-Talk. Wir besprechen kritische, aktuelle und zukunftsgerichtete Themen aus der Perspektive eines Entscheiders. heise business services begrüßt Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Immer aktuell und nah am Geschehen.

Sprecher: Wir sind heute mit dem heise meets … Podcast zu Gast bei Boehringer Ingelheim. Seit 140 Jahren gibt es die Firma, gemessen am Umsatz das größte Pharmaunternehmen in Deutschland, das mit BI X ein Labor für digitale Innovation ins Leben gerufen hat. Christian Tressel ist dessen Chef und wir treffen uns, wie könnte es bei einem Unternehmen mit einer solch langen Geschichte anders sein, im Museum der Firma.

Christian Tressel: Wir befinden uns hier im Gebäude BIC, also das Boehringer Ingelheim Center. Das ist tatsächlich das Hauptgebäude, in dem auch die Geschäftsführung sitzt. Und wir sind jetzt hier im Boehringer Ingelheim Museum, was die ganze Geschichte von der Gründung an bis heute zeigt.

Sprecher: BI X ist nicht an der Wand. Unsere Geschichte sind verschiedene Logos. Wo seid ihr? Christian, wo habt ihr euch versteckt?

Christian Tressel: Wie gesagt, BI X hat noch eine sehr junge Vergangenheit. Was man hier an der Entwicklungstafel sieht, ist, dass Boehringer Ingelheim natürlich seit Anbeginn ein Unternehmen ist, das sich sehr stark verändert hat und sehr stark auf Innovationen aufbaut. Und tatsächlich finden wir am Ende, kurz vor dem Ausgang, auch eine Darstellung von einem digitalen Produkt und einer digitalen Lösung, die wir zusammen mit einem ausgesuchten Partner entwickelt haben. Und da sieht man auch dann schon die digitale Auswirkung auf die Innovation des Gesamtunternehmens.

Sprecher: Das, was wir hier vor uns sehen, also ganz am Anfang 1893, war es noch die typische Apothekerflasche bis hin zu Tabletten. Die Tastatur für Digitales fehlt.

Christian Tressel: Das fehlt noch.

Sprecher: Du musst doch aktiv werden hier.

Christian Tressel: Das ist die Zielsetzung. Wenn das die Zielsetzung ist, dass wir es auch noch schaffen, hier im Museum erwähnt zu werden. Interessant aber, die Flasche, die du erwähnt hast, ist tatsächlich eine Limo und keine Medizin.

Sprecher: Das ist die Geschichte wie Coca-Cola, oder? Als Kopfschmerzmittel angefangen.

Christian Tressel: Hat vielleicht gewisse Ähnlichkeiten.

Sprecher: Da hinten Soundtalks - Künstliche Intelligenz im Schweinestall. Da gehen wir mal hin. Komm, wir gucken uns das mal an.

Christian Tressel: Das ist eine Partnerlösung, die aus einer Kollaboration entstanden ist, also keine in-house entwickelte Lösung. Zielt aber darauf ab, man muss sich große Schweinefarmen so vorstellen, dass dort wirklich Tausende an Tieren leben und natürlich Krankheitenserreger ein großes Problem sind. Diese Lösung setzt auf Hardware-Monitore, die das Husten von den Schweinen analysiert und daraufhin Risiken identifiziert und den Farmer ganz gezielt darauf aufmerksam macht, auf welche Tiere oder welche Bereiche in seinem Stall er sich konzentrieren muss und dann auch den Tierarzt einschaltet, um mögliche Krankheitsausbrüche zu verhindern.

Sprecher: Das heißt, ich kann ein krankes Tier lokalisieren und aus der ganzen Herde rausnehmen, bevor die ganze Herde in Mitleidenschaft durchzogen wird?

Christian Tressel: Ganz genau. Also es ist nicht immer ein individuelles Tier im aktuellen Stand, sondern diese Monitore decken einen gewissen Stallbereich ab und dann prüft man eben in diesem Stallbereich und sucht dort die betroffenen Tiere raus, um genau breite Ausbrüche zu verhindern.

Sprecher: Warum ist diese Wand spannend?

Christian Tressel: Diese Wand zeigt den gesamten Prozess zur Entstehung eines neuen Medikaments. Von der frühen Forschung bis hin zu einer Markteinführung. Das ist deshalb so spannend, weil das ein sehr langwieriger Prozess mit einer Gesamtspanne von zehn bis 15 Jahren bedeutet und zeigt einfach auch, in welcher Komplexität wir bei Boehringer Ingelheim arbeiten und auch wie langfristig die Innovationen und der Innovationsglauben bei uns befeuert werden muss.

Sprecher: Es sind insgesamt acht unterschiedliche Schritte. Fängt an bei innovativen Arzneimitteln. Da ist eine Hand, die eine Tablette hält. Geht weiter, Definition des therapeutischen Bedarfs. Dann erst kommt die Forschung, vorklinische Prüfung, Entwicklung, Herstellungsprozess, Darreichungsform usw. Die Einzelheiten sparen wir uns. Welche Rolle spielt BI X jetzt hier? Wo würdest du euch ansiedeln? Bei welchem Schritt?

Christian Tressel: BI X erforscht digitale Möglichkeiten über den gesamten Prozess hinweg. Angefangen von der ganz frühen Erkennung des therapeutischen Bedarfs. Was sind im Englischen sogenannte Unmet Needs von Patienten oder Patientengruppen? Und dann über die Forschung bis hin zu den klinischen Studien und der tatsächlichen Produktion und der Marktzulassung von Medikamenten.

Sprecher: Wie kann man im Vergleich zu dem ersten Teil, den wir gesehen haben, wie kann man heute besser den Bedarf bestimmen? Beispielsweise mit digitalem Know-how.

Christian Tressel: Es gibt natürlich ganz viele Möglichkeiten. Einfache Formen wie zum Beispiel Patientenbefragungen oder Benutzerbefragungen, aber die gab es schon immer. Die gibt es heute aber natürlich in viel effizienterer Form, bis hin zu der Einbindung von Patienten auch in der sogenannten Mixed Reality. Also wir haben auch aktuell einen Piloten, den wir anfangen zu entwickeln, um auch Patienten in diesen Prozessen einzubinden und das möglichst über den virtuellen Raum. Und nicht nur über Einladung und physische Interaktion, sondern tatsächlich eine virtuelle Interaktion mit der Nutzung auch von Augmented Reality Szenarien, in denen zum Beispiel ein Patient zukünftig ein Medikament, was gekühlt werden muss, zu Hause auch in seinen Kühlschrank projizieren kann, um entsprechende Nutzung und Nutzungsoptimierung frühzeitig zu erkennen.

Sprecher: Wir gehen ein Stückchen weiter. Drängt sich die Frage auf, seid Ihr als Arbeitgeber, als BI X, so attraktiv, dass Ihr Euch um Nachwuchs nicht kümmern müsst? Rennen Euch die Leute die Bude ein?

Christian Tressel: Wir haben natürlich einen sehr starken Fokus auf Talentakquise. Das war sogar einer der Hauptgründe, ein eigenes Logo oder ein eigenes Branding von BI X aufzubauen vor acht Jahren. Bisher haben wir nie große Probleme gehabt, Positionen zu füllen und neue Talente zu finden.

Sprecher: Herzlichen Glückwunsch! Können nicht viele sagen.

Christian Tressel: Ja, das liegt zum einen daran, dass wir festgestellt haben, dass gerade im digitalen Bereich Talente sehr mobil sind. Also zum Beispiel, wir haben in BI X bei den fast 80 Mitarbeitern über 20 Nationalitäten vertreten und das an drei Standorten in Deutschland, in China und in den USA. Ein anderer ganz wichtiger Punkt, der uns am Anfang gar nicht so stark bewusst war: Wir haben auch neue Mitarbeiter befragt, warum sie sich denn für uns entschieden haben. Und es war gar nicht das Start-up-Feeling oder an digitaler Innovation zu arbeiten, sondern tatsächlich der Unternehmenszweck von Boehringer Ingelheim.

Sprecher: Gesundheit!

Christian Tressel: Digitale Talente sind auch stark daran interessiert, Leben von Menschen und Tieren zu verbessern. Das macht Boehringer Ingelheim vor allem so attraktiv für jüngere Talente oder digitale Talente.

Christian Tressel: Das ist unser Boehringer Ingelheim Cube. Das ist ein Collaboration Space, der auf möglichst agile und auch wieder so ein bisschen im Start-up-Feeling Zusammenarbeiten und Workshops basiert. Und dient eben der agilen Zusammenarbeit zum Lösen von bestehenden Geschäftsproblemen. Mit unserem Umzug in ein anderes Gebäude haben diese Container ihren Zweck verloren und wir haben sie hier im Zentrum vom Campus noch mal neu installiert und dem Ganzen einen neuen Zweck gegeben, auch wieder um Kollaboration und modernes Arbeiten zu fördern. Und in meinen Augen sind sie gar nicht mehr als Container zu erkennen.

Sprecher: Also ein bisschen Charme von dem Zollhäuschen an der ehemaligen deutsch-französischen Grenze haben sie noch, oder?

Christian Tressel: Deswegen haben wir es auch hier so ins Grüne gesetzt im Zentrum, aber letztendlich der Mehrwert entsteht ja in dem, was im Innenraum passiert und nicht an der äußeren Fassadengestaltung. Wir stellen zunehmend fest, dass die Gestaltung vom Arbeitsplatz einen ganz starken Einfluss auch auf kreatives Denken und innovatives Schaffen hat.

Sprecher: Wie ist es bei Euch mit Homeoffice? Viele Unternehmen diskutieren gerade, holen wir sie zurück. Andere sagen, wir erweitern das Homeoffice noch. Wie handhabt Ihr das?

Christian Tressel: Wir haben da eine Mischung. Wir versuchen die größtmögliche Flexibilität zu geben, um eben Arbeitsbedürfnisse und natürlich auch private Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Das funktioniert auch ganz gut bisher. Es gibt so ein paar Grundregeln. Wenn wir Workshops haben, wenn zum Beispiel neue Mitarbeiter kommen, sind wir alle im Büro. Aber natürlich gibt es auch viele Abschnitte, die dann mal individuell ausgearbeitet werden. Oder wenn man weiß, man ist in Telefonkonferenzen mit Kollegen aus anderen Standorten, dann versuchen wir das tatsächlich möglichst frei zu gestalten.

Christian Tressel:: Das Gebäude besteht aus sechs Containern und aufgrund der Anordnung zwei Innenbereichen, die sich dann insgesamt zu acht Räumen ergänzen.

Sprecher: So, was haben wir in dem ersten? Wir gucken hier rein. Das hat ein bisschen, hier ist eine Sitzecke mit einem großen Monitor und auf der anderen Seite, ja, Coworking Space.

Christian Tressel: Wir sind jetzt hier in der Brainstorming Bay und wie du schon gesagt hast, wie du schon erkannt hast, es gibt auch hier ein sehr breit aufgestelltes Setup aus eher Schreibtisch, Hochtisch-bezogenen Arbeitsbereichen, aber zum Beispiel auch in der Sofaecke, die wirklich möglichst viel Freiraum für kreatives Denken, auch in unterschiedlichen Positionen. Es hat vielleicht eine andere Auswirkung auf eine Lösungsfindung, wenn man klassisch an einem Schreibtischstuhl sitzt oder vielleicht ein etwas bequemeres Setup auf einer Couch hat.

Sprecher: Seid Ihr ein Startup innerhalb des großen Konzerns?

Christian Tressel: Wir versuchen, die Startup-Kultur zu pflegen. Wir arbeiten auch stark mit Start-ups, aber wir versuchen, die Startup-Kultur zu pflegen. Wir wollen auf jeden Fall eine andere, unkonventionellere und offenere oder sehr stark aus der Technologie getriebene Arbeitsweise vorleben.

Sprecher: Was macht Ihr anders? Was ist der Kern von BI X?

Christian Tressel: Ich glaube, der Hauptkern von BI X ist, dass wir möglichst stark versuchen, in selbstregulierten Arbeitsstrukturen zu arbeiten. Also nicht klassische Hierarchien aufzubauen, klassische Entscheidungsprozesse, sondern möglichst viel auf Autonomie und auch dezentrale Entscheidungen zu setzen.

Sprecher: Jetzt mal Butter bei die Fische. Wie macht man das? Das klingt so toll, aber dann hast Du ein Unternehmen und das hat eine ganz große Unternehmenskultur und da stehen Erträge im Mittelpunkt und dann kommst du und sagst, ich will das Ganze anders machen?

Christian Tressel: BI X wurde von Anfang an sehr unabhängig aufgesetzt. Also BI X ist auch eine eigene Geschäftsform, eine eigene GmbH, also Tochterfirma im Konzern von Boehringer Ingelheim und das erlaubt uns natürlich auch Freiheiten und eben auch andere Arbeitsweisen und Strukturen aufzusetzen, um eben einen Konter-Effekt zu den klassischen Arbeitsweisen in einem so großen Konzern auch zu ermöglichen.

Sprecher: Jeder GmbH-Chef, der uns jetzt hört, würde sagen, mir erlaubt das keiner. Wie machst Du das? Wie kämpfst du um die Freiheit?

Christian Tressel: Zum einen, ich bin vom Titel her Geschäftsführer von der BI X GmbH und Chief Executive Officer. Also ich bin natürlich in der Rolle mal ganz klassisch verantwortlich für alle Compliance-Themen. Also wir müssen uns natürlich an Gesetzgebungen halten, bis hin zu einer ordnungsgemäßen Buchhaltung. Das ist meine Rolle. Damit verteidige ich auch das Team und erlaube dann auch unseren Technologie-Experten, sich möglichst frei auf digitale Innovation zu fokussieren.

Sprecher: Digitale Innovation, das ist immer so ein schönes Schlagwort. Was verbirgt sich bei euch hinter dem Schlagwort?

Christian Tressel: BI X ist nicht nur eine Software-Schmiede, sondern wir sind sehr großfunktional aufgestellt und haben alle Fähigkeiten, die es benötigt, um zukunftsträchtige digitale Produkte zu entwickeln. Das startet mit einem Technologie-Scouting, also wirklich Marktanalysen, dem Finden von Technologietrends über digitales Produktmanagement, das ganze Thema der User Experience. Also wir sind sehr wissenschaftlich auch in diesem Bereich aufgestellt, um Bedarfe und Bedürfnisse von Patienten zu verstehen und bauen dann eben end-to-end neue Prototypen, die wirklich eher aus der Technologie getrieben sind, um dann wieder zukunftsrelevante Business-Modelle herzuleiten oder existierende Business-Modelle dahingehend zu erweitern.

Sprecher: Ich bin glücklicherweise gesund, bin also kein Patient, habe nichts, nicht mal Fußpilz, aber was hätte ich als Patient von BI X?

Christian Tressel: Zum einen arbeitet BI X an Prototypen über die gesamte Wertschöpfungskette von Boehringer Ingelheim. Das bedeutet dann, Patienten haben unter anderem schon einen Nutzen, weil wir Lösungen entwickeln, mit denen wir zum Beispiel unsere Produktion optimieren und verbessern, um darüber dann auch Medikamente schneller in Märkte zu liefern. Wir haben auch Prototypen gerade im Bereich der pharmazeutischen Forschung. Das ist ein sehr komplexer sehr langwieriger Prozess. Und da nutzen wir gerade jetzt auch neuere generative KI-Modelle, um genau diese Entwicklungszyklen zu optimieren, effizienter zu gestalten und damit auch wieder Medikamente, neue Medikamente, schneller zu Patienten zu bringen.

Sprecher: Ich muss mal nachbohren. Ich weiß, dass das relativ komplex ist, so eine Studie zu machen. Du brauchst viele Probanden und so weiter. Was kann Dein Unternehmen, was kann KI da beschleunigen?

Christian Tressel: BI X hat vor einigen Jahren schon ein Modell entwickelt oder eine digitale Lösung, die darauf abzielt, historische Daten aus dem klinischen Bereich, also sei es aus Krankenhäusern oder aber auch aus Studien, die wir selbst durchführen oder mit Partnern durchführen, den sogenannten Kontrollarm von einer klinischen Studie, also die Gruppe, die mit Placebos behandelt wird, in einer klinischen Studie zu virtualisieren und hat das auch schon bis hin zu 50 Prozent Virtualisierungsraten geschafft. Das treibt natürlich ganz besonders die Effizienz von klinischen Studien oder macht klinische Studien auch erst möglich, vor allem in dem Bereich der Rare Diseases, also der Onkologie, in dem es eine starke Herausforderung ist, überhaupt Patienten für klinische Studien zu identifizieren.

Sprecher: Welche Zeitersparnis bei der Studie habe ich da? Kann man das ungefähr klassifizieren?

Christian Tressel: Wir gehen von einem Potenzial von zwei bis vier Jahren Zeitersparnis aus. Der Kernaspekt ist aber, dass wir über neuere Technologien, wie eben schon gesagt, Studien überhaupt erst möglich machen, was natürlich auch noch mal ein sehr, sehr starker Anreiz ist, digitale Innovationen gerade auch in den klinischen Studienbereich einzubringen.

Sprecher: Aber das ist nur ein Teil von dem, was BI  X macht, oder?

Christian Tressel: BI X betreibt Technologieforschung über die gesamte Pharma-Wertschöpfungskette hinweg. Also wir unterstützen unsere Forschungsaktivitäten über Produktionsoptimierung bis hin zu neuen Marktlösungen und auch Lösungen zur Interaktion mit Patienten.

Sprecher: Sag mal so zwei, drei Beispiele, wie sieht Dein Arbeitsalltag als CEO aus? Was brennt Dir besonders unter den Nägeln, wo Du sagst, hey, da sind wir ganz weit vorn?

Christian Tressel: Die Stärke von BI X liegt ganz klar in Technologiefähigkeiten, also im Software Engineering, im Bereich der Data Science, Data Analytics. Was mir unter den Nägeln brennt, ist eben tatsächlich Freiräume zu schaffen, damit unsere Experten auch möglichst zukunftsorientierte Technologieforschung betreiben können und das schnell und effizient auch in den Innovationsprozessen, bevor wir dann in den offiziellen Bereich der Validierung eintreten.

Sprecher: Wie schafft man solche Freiräume?

Christian Tressel: Zum einen arbeiten wir in einem vom Konzern abgetrennten Bereich. Und wir versuchen zum Beispiel auch mit synthetischen Daten zu arbeiten, also nicht mit wirklich realen Daten von Patienten oder geheimen Daten von Boehringer Ingelheim, sondern wir nutzen auch da eben Data Science Ansätze, um Daten herzuleiten, synthetische Daten zu schaffen, die dann eher fiktive Daten sind und uns natürlich auch dementsprechend Freiräume geben, Lösungen zu simulieren.

Sprecher: Wenn ich das richtig verstehe, Ihr seid das kleine freundliche Startup im großen Unternehmen?

Christian Tressel: Wir versuchen genau das zu bleiben. Man kann sich vorstellen, dass so große Konzerne starke Gravitationskräfte entwickeln. Auch für BI X ist das immer wieder ein Auf und Ab, wo wir uns mal dem Konzern annähern, uns dann wieder besinnen und natürlich genau versuchen diese Startup-Umgebung zu schützen und damit auch inspirierend auf unsere Kollegen einzuwirken.

Sprecher: Das heißt, Du kommst nicht jeden Morgen ins Büro, packst die Boxhandschuhe aus und sagst, heute muss ich fighten.

Christian Tressel: Nein, natürlich nicht. Für mich persönlich bedeutet die Arbeit im digitalen Labor auch, dass ich selbst wieder Freiräume habe, um auch mich auf meine Vergangenheit des Software-Engineerings zu besinnen und tatsächlich auch noch mal Dinge selbst auszuprobieren, auch von unseren Engineers zu lernen und natürlich auch damit wieder mein eigenes Technologieverständnis aufzubessern.

Sprecher: Auf was bist Du besonders stolz, was Ihr in den letzten zwei, drei, vier Jahren auf den Weg gebracht hat, wo du sagst, hey, da haben wir das Unternehmen in Gänze nach vorn gebracht.

Christian Tressel: Ich glaube, neben den digitalen Produkten liegt ein großer Teil der Transformationsarbeit auch in modernen, agilen oder adaptiven Arbeitsweisen. Da hat sich, vielleicht getrieben durch BI X, Boehringer Ingelheim sehr stark verändert und ist sehr viel moderner geworden, was die Büroflächen angeht. Wir setzen sehr stark auf Kollaboration und nicht mehr auf Einzelbüros zum Beispiel, aber auch auf agile Arbeitsweisen, da wir als forschungsbasiertes Pharmaunternehmen sehr komplexe und auch sehr starke Bereiche der Ungewissheit haben und uns dementsprechend schnell dann annähern wollen, um dann wieder möglichst verlässliche Medikamente für Patienten zu entwickeln.

Sprecher: Ungewissheit heißt, es geht auch manchmal in die Sackgasse.

Christian Tressel: Das gehört natürlich bei Forschungsarbeit dazu. Wir arbeiten Hypothesenbasiert. Und dazu gehört natürlich auch, dass man nicht nur Hypothesen belegt, sondern auch widerlegt. Und das ist wieder eine Stärke in unserer Arbeitsweise. Wir sehen das nicht als Scheitern an, sondern tatsächlich als Informationsgewinnung, Erkenntnisgewinnung und versuchen das auch entsprechend alles zu dokumentieren, zu lernen und dann auch wieder zu verwenden in zukünftigen Initiativen.

Sprecher: Der Firmenname BI X steht für Boehringer Ingelheim X oder für Business Intelligence?

Christian Tressel: Es steht tatsächlich für Boehringer Ingelheim X und geht zurück eher auf eine spontane Entscheidung. Als es damals darum ging, die Firma, die GmbH, im Handelsregister einzutragen, war unserem verantwortlichen Kollegen der Name Boehringer Ingelheim X zu lange. Daraus ist dann eben das Kürzel BI X entstanden und wie jedes Provisorium hat das auch jetzt noch weiterhin Bestand.

Sprecher: Aber Ihr schmückt euch jetzt nicht mit Business Intelligence, das passt so schön.

Christian Tressel: Wir schmücken uns vor allem mit Technology Intelligence oder Excellence.

Sprecher: Technology Intelligence, wo glaubst Du, wo geht die Reise hin? Wenn wir über KI in der Medizin reden, wir hatten schon das Beispiel, KI in der Medizin, wo geht die Reise hin?

Christian Tressel: Ein starker Trendbereich ist aktuell das Erfassen von Biomarkerdaten in kontinuierlichen Setups. Heute ist es jedem bekannt in der Nutzung von smarten Geräten wie zum Beispiel Smartwatches, Smart Rings. Es gibt allerdings auch schon erste Ideen von sogenannten Nano-Devices, die dann nicht nur als Nano-Pille eingenommen werden und Körperdaten aufnehmen, sondern vielleicht auch in Zukunft sich die Technologie dahin entwickelt, dass solche Nano-KI-basierten Roboter in der Blutbahn kursieren und eben permanent unsere Biodaten aufnehmen.

Sprecher: Ist das so ein Projekt, an dem Ihr dran seid?

Christian Tressel: Wir betrachten das aus Technologie-Trend-Sicht und haben natürlich auch potenzielle Partner im Blick, die genau diese Technologien entwickeln. Unsere konkrete Arbeit heute befindet sich eher in dem Bereich noch der Smart Devices und der dazugehörigen Software-Integration. Aber wir versuchen natürlich die Zukunft da im Auge zu behalten, um dann möglichst früh auch mit potenziellen Partnern in Kontakt zu treten.

Sprecher: Gibt es noch mehr Beispiele, wo Du denkst, da sind wir dran, da werden wir uns darauf fokussieren?

Christian Tressel: Ein ganz wichtiger Bereich ist aktuell die pharmazeutische Forschung. In dem Bereich ist eine unglaubliche Komplexität an Datenmengen, sei es Patientendaten, sei es Biomarker, aber auch natürlich Daten aus der Biologie, aus der Genetik. Und hier sehen wir gerade ein sehr, sehr großes Potenzial, gerade getrieben durch generative KI-Modelle, also zum Beispiel Large-Language-Modelle, die man entsprechend spezialisiert trainieren kann und dann auch genau zielgerecht für die Entwicklung von neuen Medikamenten einsetzen kann.

Sprecher: Kannst Du das ein bisschen konkretisieren? Gibt es da schon was Greifbares?

Christian Tressel: BI X hatte schon ein Produkt entwickelt im Bereich der sogenannten Proteomics, also das Ganze ist proteinbasiert. Da haben wir ein spezialisiertes Large-Language-Modell mit Proteindaten trainiert und zum Beispiel für die Identifizierung von potenziellen Zellmembran-Ankern identifiziert, an die zum Beispiel unsere Onkologieprodukte zukünftig andocken können.

Sprecher: Hilf mir auf die Sprünge. Zellmembran-Anker, was muss ich mir darunter vorstellen?

Christian Tressel: Das sind Punkte in unserem Körper, an die Wirkstoffe andocken können, um dann entsprechend auch Krankheiten zu heilen.

Sprecher: Welche Rolle kann KI da spielen?

Christian Tressel: KI kann basierend auf vorliegenden Daten eben genau solche Ankerpunkte vorhersagen, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Das Ganze hat die Zielsetzung, dass wir unsere Laborprozesse erst dann starten, wenn wir möglichst vielversprechende Kandidaten, also Target-Kandidaten, dann auch auswählen können.

Sprecher: Kann man den Nutzen in Zeit oder möglicherweise sogar in Geld bemessen von dem, was du eben beschrieben hast?

Christian Tressel: Das Ganze ist sehr schwierig in Zeit zu bemessen, weil wir eben gewisse Prozesse durchlaufen müssen und natürlich auch Evidenzen nachweisen müssen und entsprechend dokumentieren und registrieren müssen. Der eigentliche Kern, der eigentliche Gewinn liegt darin, die Effizienz zu erhöhen, also vielversprechende Kandidaten auszuwählen und damit eben die Erfolgsquote von solchen Kandidaten von der frühen Forschung bis hin zu einer Markteinführung von einem neuen Medikament zu erhöhen. Ich glaube, was dabei wichtig ist, ist, dass BI X sich auf Prototypen konzentriert und genau darin liegt die Stärke und auch der Mehrwert für den Konzern. BI X wurde gegründet, um die digitale Transformation voranzutreiben und ist dann auch mit Forschungsbudget ausgestattet, um eben neben unserem Alltagsgeschäft genau diesen Fokus zu ermöglichen und auch Kollegen aus dem weiteren Konzern dort einzubinden und eben neue Lösungsansätze zu entwickeln.

Sprecher: Wenn wir dieses Gespräch in fünf Jahren oder in sieben Jahren wiederholen, über welche Themen werden wir dann sprechen?

Christian Tressel: Wir werden über ganz neue Ansätze in der pharmazeutischen Forschung reden, was vielleicht noch viel spannender ist. Wir werden dann höchstwahrscheinlich über andere Interaktionsformen mit Patienten oder eben auch zum Beispiel Tierbesitzern reden - wir haben auch eine Tiergesundheits-Sparte, was eben die Nutzung von digitalen Plattformen angeht, Datenintegration und auch eben genau das Monitoring von Biomarkern als Indikation für vorliegende Krankheiten.

Sprecher: Dann lass uns mal gemeinsam in die Glaskugel blicken. Was erwartest Du? Wo ist diese andere Kommunikation?

Christian Tressel: Heute laufen klinische Studien, aber auch Arztbesuche immer noch sehr, sehr symptomgetrieben ab. Das bedeutet, erst wenn sich ein Patient unwohl fühlt, sucht sie oder er einen Arzt auf, um dann entsprechende Diagnose zu bekommen. Eine Nutzung von smarten Geräten und eine kontinuierlichere Erfassung von Biomarkern führt natürlich zu einer viel regelmäßigeren Überwachung und natürlich einer viel früheren Diagnose oder Erkennung von vorliegenden Krankheiten.

Sprecher: Und das betrifft quasi alles, von simplen Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht bis hin zu großen Geschichten wie Krebs?

Christian Tressel: Das kann alles betreffen. Also die großen Volkskrankheiten im Herz-Kreislauf-Bereich sind heute auch schon sehr verlässlich durch Smartwatches oder Smart Rings oder weitere Geräte zu identifizieren. Der Bereich der Rare Diseases ist natürlich technologischer, noch mal komplexer. Es gibt dort auch allgemeine Biomarker, aber gerade was wir heute sehen, viele Technologiestartups fokussieren sich ganz gezielt auf komplexe Biomarker, um dort verlässliche Aussagen zu treffen.

Sprecherin: Das war heise meets … – Der Entscheider-Talk. Sie wollen mehr erfahren? Dann besuchen Sie uns auf heise-meets.de. Wir freuen uns auf Sie.

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